Warum Prozessanalysen im Vertrieb erst recht VOR (!) Wachstumsinitiativen sinnvoll sind!

Die Frage, ob Hundetraining notwendig ist, steht außer Frage, nicht jedoch die Frage des Wann. Die Sozialisierungsphase beginnt ca. 8 Wochen nach der Geburt, in den folgenden Wochen sind die Welpen besonders lern-fähig und -willig und alles, was Sie als Hundebesitzer jetzt nicht trainieren, wird bei wachsenden Hunden nicht leichter, sondern mühseliger. Denn mit dem Wachstum festigen sich die Verhaltensmuster und sind – wenn überhaupt – im ausgewachsenen Stadium nur mit deutlich mehr Aufwand zu durchbrechen.

Genau das gleiche gilt auch für die Prozessqualität in den Vertriebs- und Marketing-Prozessen. Mit jedem weiteren Kunden, mit jedem weiteren Projekt, mit jedem weiteren Umsatz wachsen sich bis dato bestehende Prozess-Unwuchten und Schwachstellen in den Abläufen nicht aus, sondern mit. In der Mehrzahl der Fälle sogar überproportional. Und sorgen so nicht nur für Unmut bei den beteiligen Abteilungen, sondern generieren Kosten in Form von ineffizienten Arbeitsweisen, abwandernden Kunden und frustrierten Vertriebsmitarbeitern.

Was im Alltag und den Werkshallen jedes halbwegs anständig geführten Produktionsunternehmen längst gang und gäbe ist – Stichwort KVP, Kaizen, Kanban, TPS, etc  – macht vor operativen  Funktionen wie Vertrieb und Marketing oft noch immer Halt: das Prinzip des beständigen Optimierens von Abläufen und Prozessen. Warum auch, es läuft ja, irgendwie. Bis auf einmal starken Wachstum ansteht und die Organisation ins Stottern kommt.

Eine etwas plastischere Darstellung:

Wenn Sie bei € 45 Mio. Jahresumsatz durchschnittlich 20 direkte Beschwerden und 5 abwanderungswillige Kunden pro Jahr verzeichnen, werden es bei € 90 Mio. Umsatz mindestens 40, erfahrungsgemäß eher 50 und mehr Beschwerden und mehr als 10 „Lost customer“ sein. Und auf dem Weg dahin „zinsen“ sich die negativen Nebenwirkungen auf. Dass öffentlich geäußerte Beschwerden bei Google, Amazon, Kununu oder sonstige Branchen-spezifischen Bewertungsportalen Ihr Image ankratzen und vermeintliche Neukunden abschreckt, liegt auf der Hand. Hier noch nicht berücksichtig ist der Negativ-Umsatz, den sie (nicht) machen, weil Bearbeitungszeiten zu lang, verschickte Angebote nicht oder nicht rechtzeitig nachgehakt wurden. Und auch hier gilt: weil es nicht gemessen wird, sticht es keinem so richtig oder erst zu spät ins Auge.

Eine nicht ausreichend definierte, transparente Ablaufbeschreibung inkl. einer Aufgaben-Verantwortlichkeitsmatrix reduziert nicht nur die interne Fluktuation, sondern sorgt maßgeblich dafür, dass die vorhandenen, menschlichen Ressourcen (d.h. die Arbeitszeit, der Grips, die Kreativität und die Einsatzbereitschaft ihrer Mitarbeiter) maximal zielführend eingesetzt werden.

Ist die Analyse von Vertriebsprozessen bei uns wirklich notwendig?

Vorab jedoch zur Klärung, wie sich Schwachstellen in Ihren Marktbearbeitungsprozessen „zeigen“, denn oftmals sind sich die beteiligten Parteien (GF, Vertriebs-/Marketing-Leiter, KAM, Aussen- und Innendienst) gar nicht einer oder der gleichen Meinung, OB, WO und vor allem WIE es klemmt. Den richtigen Zeitpunkt des Aufdeckens zu verpassen kann ein Unternehmen teuer zu stehen kommen. Spätestens, wenn ein Schlüsselkunde abwandert, muss ein Blick auf die Prozesse als mögliche Ursache erfolgen.  Je früher, desto besser gilt auch hier – erst recht, wenn eine Wachstumsoffensive geplant wird. Dann sollte die Beschaffenheit der Abläufe auf Durchgängigkeit, Effizienz und Robustheit überprüft werden, ansonsten droht Ihnen der eingangs beschriebene Mehraufwand. Und die Wahrscheinlichkeit, die gesteckten Wachstumsziele trotz Mehraufwand zu unterschreiten.

Barometer für die Prozess-Qualität gibt es viele. Ein Kunde, der einen laufenden Vertrag kündigt, kann bereits ein deutliches Signal für zu dünne Luft bzw schwache Prozessleistung sein. Vorab existieren deutlich weniger drastische Symptome, deren Ursache in nicht reibungsfreie Abläufe liegen kann, unter anderem:

  • eine unregelmäßige Auslastung der gesamten Vertriebsorganisation und/oder ungleiche Auslastung des Außen- und Innen-Dienst-Teams

  • eine hohe Abbruch-Quote zwischen einzelnen Phasen des Sales Funnels (z.B. Anzahl Erstgespräche vs Anzahl erstellte Angeboten)

  • im Vergleich zum Markt/Wettbewerb überdurchschnittliche lange Bearbeitungs-/Durchlaufzeiten (lead2order)

  • heterogene Bearbeitungszeiten von Aufträgen

  • hohe Volatilität in Responsezeiten/niedrige Termintreue

  • hohe Churn-Rate (Quote an abwandernden Kunden pro Monat/Quartal/HJ….)

  • ggü. Vorjahr unerklärlicher Umsatzabfall bei Key Accounts

  • negatives Feedback (in Form von Reklamationen oder Bewertungen auf Rating-Portalen)

Viele der Parameter werden im dt. Mittelstand nicht oder nicht durchgängig gemessen, sodass historische Vergleiche oft nicht möglich sind. Zudem werden die Gründe, weshalb ein Kunde abwandert oder reklamiert, gerne auf „externe Faktoren“ geschoben.  Ein probates Mittel, um ein ungeschöntes Bild Ihrer vermeintliche Prozessqualität zu erhalten, sind Silent Shopper (im b2c-Segment) oder ein extern beauftragter Service-Audit. Für ein „erstes Gespür“ geht es noch einfacher, indem Sie ihre Mitarbeiter im richtigen Rahmen (in einem separaten Termin und ohne Agenda) zu Wort kommen lassen. Fragen Sie Ihren besten Key Accounter, Ihren fittesten Außendienstmitarbeiter, die Innendienstmitarbeiterin mit dem besten Standing und Ihren kundenorientiertesten Service-Mitarbeiter, wo es klemmt. Und lassen Sie ihren Mitarbeitern Zeit, in Ruhe zu antworten. Sie werden überrascht sein, wo und wie es überhaupt NICHT rund läuft.

Welche Abläufe des Vertriebsprozesses kann eine Prozessanalyse umfassen?

Wenn Sie es systematisch angehen wollen, führen Sie eine Bestandsaufnahme der IST-Abläufe mit Hilfe eines geläufigen Prozessaufnahme-Verfahrens durch und sorgen dafür, dass jede Vertriebs- und Marketing-nahe Abteilung in die Aufnahme bzw. die Workshops involviert ist. So wird nicht nur eine maximale Perspektiven-Variation sichergestellt, sondern auch ein neues Niveau an Transparenz geschaffen. Die Darstellung aller Abläufe als Value Stream Map (=Ablauf-Diagramm) ist immer mit Staunen und „Aha“-Effekten der Teilnehmer verbunden, weil viele Schnittstellen zu selten von unterschiedlichen Perspektiven gemeinsam betrachtet werden

und im Alltag die Kenntnisse über Arbeits- und Vorgehensweisen der jeweils anderen Abteilungen oder Teams oftmals nicht vollständig sind.  Ausschlaggeben ist hierbei die Moderation, die sicherstellt, dass alle derzeit alle bestehenden Fehler, Störungen, Ineffizienzen und Produktivität-raubenden Aspekte benannt und von allen TN bestätigt werden.

Parallel erfolgt die Problembeschreibung. Was so trivial klingt, hat selbst Einstein als große Herausforderung bewerten. Im betrieblichen Alltag werden oft die Symptome als Auslöser von Ärger und Ursache des Nicht-Funktionierens wahrgenommen. In der Prozessanalyse gilt jedoch das ZDF (Zahlen, Daten, Fakten) vor das ARD (argumentieren, raten, diskutieren) zu stellen. Prozess-Unwuchten müssen konkret beschrieben, eingeordnet und die Ursachen dafür verstanden werden, d.h. wie häufig treten die Fehler auf, an welcher Stelle, wer ist genau involviert, warum entsteht der Fehler, wie viel Aufwand ist zur Behebung notwendig, welchen Einfluss hat das auf Interessenten/Kunden, etc. Erst dadurch wird eine Priorisierung der Prozess-Unwuchten möglich und Sie grenzen die wirklich relevanten Probleme und deren Ausmaß ein.

Der letzte Schritt in der Prozessanalyse sieht die Erstellung des „Aktionsplans“ vor. Für die zuvor priorisierten und bewerteten Problemursachen werden Maßnahmen definiert, die die Prozessfehler zukünftig abstellen werden, z.B. in Form von alternativen Vorgehensweisen, durch Hinzunahme oder Auslassen einzelner Prozessschritte, durch neue Reihenfolgen einzelner Prozessschritte, durch Systemunterstützung, durch veränderte Kommunikationsmuster, durch Vereinheitlichung und Nutzung identischer “Listen”/Datenquellen/etc…  Dieser Action Plan ist Voraussetzung dafür, dass der neu definierte Prozess die Nachteile und negativen Nebeneffekte des bisherigen Ablaufschemas abstellt. Sobald dies geschehen ist, beginnt die Umsetzung, d.h. das „mit-Leben-füllen“ der neuen Ablaufschemata. Hierfür bedarf es Geduld, vereinzelter Nach-Justierungen, vor allen Dingen aber eine sehr enge Begleitung durch die Führungskräfte, Prozess-Spezialisten und Geschäftsführung. Denn ähnlich wie bei Hundewelpen wird auch der ein oder andere Mitarbeiter immer wieder in alte Muster zurückfallen.

Was macht eine Bestandsaufnahme und Überarbeitung Ihrer Vertriebsprozesse (mit Ihrem Team)?

Eine Überarbeitung der Vertriebsprozesse weist nahezu alle Stadien der bekannten Change-Kurve auf:

  • Zu Beginn Euphorie: „endlich wird mal auf die wirklichen Ursachen geschaut…“

  • dann erfolgt Ernüchterung: „das macht ja richtig Arbeit…“

  • gepaart mit Widerstand: „das ist ja teilweise Mehraufwand, warum sollen wir das denn jetzt…..“

  • dann Akzeptanz/Erkenntnis: „stimmt schon, in Summe werden wir so schon schneller/besser….“

  • mündend in der Integration: „super, das kann ich direkt ab morgen machen….“

Die Durchführung einer Prozessanalyse und -Veränderung erhöht bei allen Beteiligten die Sensibilität für den jeweils individuellen Beitrag der durch den Interessenten bzw. Kunden wahrgenommenen Professionalität und Serviceniveau. Gleichzeitig ist diese Vorgehensweise bestens geeignet, historisch gewachsene, falsch angewöhnte, aus Kunden- wie auch aus Sicht der Unternehmensleitung unvorteilhafte Verhaltensweisen und Muster ent-emotionalisiert aufzubrechen. Und – im Sinne des ZDFs – werden durch neue Ablaufmuster messbare Verbesserung der eingangs erläuterter Symptome erzielt. Wenngleich die direkte Zurechnung verbesserter Prozess-Abläufe zu Mehrumsatz bzw. höheren Margen nicht durchgängig gegeben ist, lassen sich Kennzahlen wie Reklamationsquoten, Kundenzufriedenheits-Indexe, durchschnittlichen Leadtimes/Bearbeitungs-zeiten sowie überdurchschnittliche Umsatzentwicklungen auf Einzelkundenebenen sehr gut verbesserten Prozessschritten zuordnen. Und neben der emotionalen Ebene („endlich haben wir mal keine Kosmetik betrieben, sondern sind an die Wurzel gegangen“) sind es vor allem deutliche Effizienzsteigerungen, die aus optimal abgestimmten Ablaufmustern resultieren. Was wiederum Ressourcen freischaufelt, die für Wachstum so dringend notwendig, aber in fast jeder mittelständischen Organisation Mangelware sind.

In Produktionsbereichen werden durch Prozessverbesserungs-Initiativen und Optimierungsprojekte Produktivitätssteigerungen von 18 % und höher erreicht. Warum sollte es im Bereich der Marktbearbeitung anders sein!

Das Gute an einer Prozessanalyse: Sie sind weder von Kunden, von Markttrends noch von sonstigen, externen Faktoren abhängig, sondern Sie haben es selbst in der Hand!  Eine Prozessaufnahme und das Bewerten der Prozess-Schwachstellen ist kein Mammutprojekt, sondern kann sehr effizient und mit kleinen Bordmitteln durchgeführt werden. Die Herausforderungen liegt vor allem in dem „mit Leben füllen“ der überarbeiteten, ggf. auch veränderten Ablaufreihenfolge oder Verantwortlichkeiten. Hier bedarf es guter Kommunikation und Begleitung durch die Projektleitung und Führungskräfte. Die Mitarbeiter müssen an die Hand genommen werden und es sollte in eng gesteckten Regelterminen die Einhaltung überprüft und -sofern notwendig – Nachjustierungen vorgenommen werden. Und ab dann gilt: einüben, einüben, einüben, …bis der Kunde (wieder)kommt.